Liebe Gemeinde,
Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Das sind Worte, die ein verzweifelter Vater ausruft. Ein Vater, dem es hier zunächst nicht um sich ging, sondern um sein Kind. Ein Vater, der Leid zusehen, der die Schmerzen im Gesicht seines Kindes ansehen musste. Ausharren, wenn das Kind mit schlimmen Brandwunden heulend in seinen Armen lag wohl vielfach wegen Schmerzen vom Schlaf geraubt. Oder wenn das Kind aus dem Wasser gerettet wurde – dem Ertrinken nahe. Lebensbedrohlich war die Situation des Kindes allemal. Stets musste dieser Vater um das Leben seines Sohnes gebangt haben. Von einem sprachlosen Geist wurde das Kind beherrscht, so überliefert es uns der Evangelist Markus.
Wie oft hatte dieser Vater sich wohl an andere gewendet, mit der Hoffnung einer Hilfe. Dann hatte er sich den Jüngern zugewandt. Diese, die dem in der Nähe waren, der so viele von ihren Krankheiten heilte. Doch auch diese Jünger konnten dem verzweifelten Vater nicht helfen.
Schließlich versucht dieser es noch einmal. Jetzt bei Jesus selbst. Sicher ist er sich dabei nicht, aber er will glauben, dass Jesus helfen kann. Deshalb rutscht es ihm raus: „Wenn du aber etwas kannst… hilf uns!“
Eine ernste Bitte! Und doch ist der Zweifel zugleich in diesen Worten zu hören. Ja, wie schwer ist es zu vertrauen, zu glauben, zu beten. Nicht zu zweifeln, nicht aufzugeben. Wie schwer, Gott um Hilfe zu bitten, auch wenn das Erbetene nicht wie erhofft geschieht. Wenn eine Situation unverändert zu bleiben scheint. Wenn Heilung ausbleibt. Wenn ein geliebter Mensch im Sterben liegt. Wenn Kinder ihren Weg nicht finden. Wenn Geliebte leiden müssen. Wenn Gottes Wort scheinbar ins Leere hallt und immer weniger zur Kirche kommen.
Aber ein neues Jahr bricht an! Und damit wagen viele wieder erneut zu hoffen. Hoffentlich kommt da eine Veränderung. Und zugleich sind diese unsere Hoffnungen wie „New Years Resolutions“. Wir machen solche Resolutions und so ernst wir es mit ihnen meinen, so schimmern doch schon die Zweifel durch.
Ach ja, es wird schließlich wohl nichts daraus werden, oder? Oder doch!?
„Wenn du aber etwas kannst“, sagt dieser verzweifelte Vater. Ein stechender Zweifel in einer ernsten Bitte. So wagen auch wir uns vielfach an das Gebet heran. Bitte, bitte, flehen wir, himmlischer Vater alles ist dir möglich! Wenn du kannst… Wenn du willst… Ein leiser Zweifel. Ein unausgesprochenes Fragezeichen. Wie der verzweifelte Vater, der kaum mehr an das Wunder zu glauben wagt. Und doch Hoffnung nicht aufgegeben hat.
Jesus hat auf den Zweifel des Vaters eine Antwort. Er kann tatsächlich. Denn er ist der Sohn Gottes und er vertraut seinem Vater voll und ganz. Wenn er dann sagt: „Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt“, will er den verzweifelten Vater auf sich, Christus, blicken lassen, der tatsächlich glaubt und dem daher alle Dinge möglich sind – auch hier das Kind zu heilen.
Der verzweifelte Vater hin und hergerissen, zwischen einem Blick auf Jesus und sein Wort der Verheißung und die enttäuschten Erfahrungen der Vergangenheit, bringt seine Lage kurz und knapp genau auf dem Punkt: Ich glaube, hilf meinen Unglauben! Ich schaue auf dich Jesus, dem alle Dinge möglich sind. Ich vertraue dir. Ich bitte: Hilf mir! Und doch kämpfe ich zugleich. Denn das andere kenne ich, sehe ich, höre ich, erfahre ich jeden Tag aufs Neue…
Zu Beginn eines neuen Jahres blicken wir zurück und erkennen und wissen, wie Gott doch da war. Wie oft habe ich Gottes Hilfe und Bewahrung erfahren. Und doch blicke ich auf das kommende Jahr und muss eingestehen, ich tue mich schwer mit dem Glauben, mit dem Vertrauen, alles in Gottes Hand zu legen: Meine Situation. Die Situation derer, die mir nah und wert sind. Meine Wünsche. Meine Ängste. Meine Sorgen.
Ich kenne mich selbst: wollen haben ich wohl, aber vollbringen? Wie schnell gebe ich auf beim Beten oder beim Andacht halten, halte nicht durch. Und doch fange ich wieder von vorn an.
Liebe Gemeinde, als Kalenderbild, dass uns in diesem Jahr begleiten soll haben wir ein Glas, das auf einem Tisch steht. Es scheint halb leer zu sein. Oder ist es halb voll? Die Worte der Jahreslosung aus Markus 9,24 stehen so auf dem Glas: Oben „Ich GLAUBE“ und unten „meinen UNGLAUBEN“, das Wort „hilf“ ist dabei als Messanzeige dargestellt – als Barometer zwischen GLAUBE oben und UNGLAUBEN unten.
Ich finde so erscheinen wir vor Christus am Anfang eines neuen Jahres mit unseren Anliegen. Jeder mit seiner Situation, mit seinen Bitten und Wünschen. Und jeder mit unterschiedlicher Menge Wasser in seinem Glas. Wasser aber, dass wir allein Gott zu verdanken haben. „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heiliger Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten“ (Erklärung zum 3. Glaubensartikel, Kleinen Katechismus). Was wir an Glauben haben ist Gott zu verdanken. „Ich glaube!“, das geht zurück auf Gottes Wirken, sein Wirken durch Wort und Sakrament in Vergangenheit und Gegenwart. Dass wir uns zu ihm aufmachen, dass wir uns zu Jesus wenden, manchmal in wirklich verzweifelter Situation, auch da, wo wir Christus kaum was zutrauen und es bei uns rausrutscht: „Ja, wenn du etwas kannst! Hilf“. Da ist doch der glimmende Docht noch nicht ausgebrannt. Da ist dann noch Wasser da und nicht ein ausgetrockneter Unglaube. Sodass wir noch sprechen können: Ich glaube! Zugleich aber unsere eigene Not mit dem Glauben klar erkennen und uns im Gebet Gott zuwenden, der ja das Beten von uns haben will. Gott will uns doch „damit locken, dass wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, auf dass wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten…“ (Erklärung zur Anrede des Vaterunsers, Kleinen Katechismus).
Und, wo wir vor ihm erscheinen, lässt Gott uns nicht im Stich! Er ist ein gütiger Gott, reich an Gaben und Gnade. Er lässt uns bei der lebendigen Quelle himmlisches Wasser zuströmen, umsonst, sodass wir nie halb leer, sondern höchstens halb voll vor ihm erscheinen, immer mit der Möglichkeit uns neu füllen zu lassen, wie wir es passend beim Abendmahl singen: „Du bist die lebendiger Quelle, zu dir ich mein Herzkrüglein stelle; lass mit Trost es fließen voll, so wird meine Seele wohl. Kyrieleison.“ (LG 56,2).
Die Welt da draußen kostet uns Wasser. Unser Alltag nimmt viel. Unsere gefüllten Gläser werden anfochten. Manchmal werden wir heftig geschüttelt und gerüttelt. Auch unsere Liebe, unser Dienst, der von uns gefragt wird, unsere Aufopferung, das lässt in der Hitze unseres Einsatzes so manches Wasser abdampfen.
Aber hier beim Worte Gottes, wo wir vor Jesus Christus erscheinen, haben wir eine Antwort gegen ausgebrannt sein, ausgetrocknet sein im Glauben.
Wir sprechen: „Ich glaube!“ und erkennen zugleich, wie wackelig wir sind. Ja, mit Unglauben haben nicht nur Leute da draußen zu kämpfen, sondern wir alle. Aber bei Jesus Christus, bei seinem Wort und bei den Sakramenten ist der Ort, wo unser Unglaube weichen kann. Wo Gott unsere Gläser füllt.
„Erbarme dich unser und hilf uns!“ so flehte der verzweifelter Vater Jesus. Und Jesus erbarmte sich. „Alle Dinge sind möglich, dem der glaubt“, sagte Jesus und meinte damit sich selbst. Als diesen der voll und ganz dem himmlischen Vater vertraute, erwies Jesus sich dann und heilte dem Jungen. Aber nicht nur das! Christus blieb seinem Vater treu bis in den Tod. Er ließ sich ins tiefe Wasser, ins höllische Feuer schmeißen, damit er sich unser ganz erbarmen konnte. Damit wir wirklich geholfen werden aus aller Not.
Mit der Not seines Sohnes kam der verzweifelte Vater zu Jesus und erkannte schließlich seine eigene Not, den Kampf gegen den Unglauben. So mag es uns vielfach gehen, dass äußere Not oder die Not anderer an unseren Glauben nagen, dass unser Wasser ausgeht und wir sprechen: Ich glaube, hilf meinen Unglauben.
Und im Gottesdienst, bei seinem Wort, wo wir vor Jesus erscheinen, wird uns tatsächlich geholfen. Da erbarmt Jesus sich unser und hilft uns.
Gut, dass diese Worte in diesem Jahr stets über unserem Kalender zu erkennen sein werden. Denn in diesem Jahr wird wieder so manches von uns gefragt sein. Termine. Aufgaben. Besuche bei Ärzten. Möge dies Bild mit dem Glas uns eine Erinnerung sein, wo wir tatsächlich geholfen werden. Wo unser Glas übervoll gefüllt wird und wir von diesem Wasser dann auch überschwappen lassen kön-nen auf andere. Wo wir dann Kraft erhalten auch das zu ertragen, was uns aufer-legt wird.
Ich glaube, hilf meinen Unglauben. Und Jesus Christus greift ein. Er rettet aus der Not. Er hilft. Er heilt.
Welche schönen Aussichten für das neue Jahr 2020!
Amen.