Angespannt sitze ich im Wartezimmer eines Arztes und hoffe auf ein gutes Ergebnis der anstehenden Untersuchung. Ich habe Angst, fühle mich hilflos.
Viele Menschen aus meinem Bekanntenkreis mussten sich schon schweren Diagnosen stellen – warum sollte ich ausgenommen sein?
Ich Glaube, hilf meinen Unglauben – Markus 9,24
Genau das spielt sich gerade in mir ab: „Ich glaube!“ – Ja, ich weiß mich in Gottes Hand. Ja, ER meint es gut mit mir. Ja, IHM ist nichts unmo glich! Gleichzeitig rumoren in mir Gedanken wie: Kümmert Gott mein kleines Leben u berhaupt? Warum bin ich nur so unruhig und besorgt? Wo bleibt mein Gottvertrauen? Wenn es darauf ankommt, verliere ich den Boden unter den Fu ßen. Dabei habe ich doch schon so oft Gottes Na he und Hilfe erlebt …
So erging es bereits den Menschen, die mit Jesus unterwegs waren. Unglaubliches hatten sie mit ihm erlebt: Wie er lebensbedrohliche Wogen gla ttete, Stu rme stillte, Tausende speiste und Kranke heilte. Doch oft machte sich schon bei der na chsten Herausforderung große Hilfslosigkeit breit, so dass Jesus sie fragte: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4, 40)
Genau das passiert wieder einmal. Ein Vater bringt seinen schwer kranken Sohn zu ihnen. Die Situation eskaliert, als sich auch noch Schriftgelehrte einmischen. Wie so oft gesellt sich zur Hilflosigkeit die Aggression. Einer fehlt. Jesus, der plo tzlich dazu kommt und in die aufgebrachte Runde hinein fragt: „Was streitet ihr mit ihnen?“ Da platzt alles aus dem Vater heraus, die Angst um seinen Sohn, die Entta uschung u ber die Ratlosigkeit der Ju nger: „Und du selber warst nicht da – nur deine Jünger und die konnten uns nicht helfen!“ Jesus reagiert nahezu ungehalten: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!“ – und handelt. In Jesus Gegenwart ba umt sich noch einmal die lebensfeindliche widergo ttliche Macht in dem Kranken auf. Der Vater setzt alles auf eine Karte und schreit verzweifelt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Eine bewegende Szene. Ein grundehrlicher
Mann, dieser Vater! So eine schlimme Krankheit kann eine komplette Glaubensexistenz erschu ttern. Trotzdem mutet er sein Anliegen und seinen „Unglauben“ Jesus zu und fleht ihn um sofortige Hilfe an. Jesus schont ihn nicht und erwischt ihn an seiner Schwachstelle: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Da brüllt der Vater verzweifelt:
Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Ein Hilfeschrei aus der Tiefe: „Ich glaube – wa re ich denn sonst zu dir gekommen? Ich kann es nicht ergru nden, was das bedeutet, und was du von mir erwartest. Ueberletzte Konsequenzen dieses Versprechens bin ich mir nicht im Klaren. Und ich kann dir auch nicht beweisen, dass ich „richtig“ innig genug glaube …“ So folgt auf sein Versprechen die Bitte: „… hilf meinem Unglauben!“ Der Vater erkennt, dass nicht nur sein Sohn der Hilfe und der Heilung bedarf, sondern auch er selber, sein Glaube.
Dieser Aufschrei des Vaters ist ein erster Schritt des Vertrauens. Wie wunderbar, dass Jesus das nicht zu wenig ist!
Gleichzeitig bringt der Vater auf den Punkt, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ausmacht. Eine Spannung, die mich nicht zerreißen muss, weil Jesus sich ganz in meine Lage versetzt und sie mit mir aushalt. So wird die rote Figur zu Christus, der mich mit ausgebreiteten Armen empfa ngt. Durch sein Leiden und Sterben zerreißt Jesus den Vorhang zum Allerheiligsten, fa llt die Mauer, die uns Menschen von Gott trennt. Er stellt sich in den Riss, macht den Weg frei. Er ero ffnet einen weiten Raum, und schiebt kraftvoll Mauern der Angst und Sorge weg, die mir und meinem Glauben die Luft zum Atmen nehmen.
Jesus sieht und ertragt meine Unsicherheit, wenn mein Glaube angesichts schwieriger Herausforderungen versagt. So begegnet und antwortet Jesus auch seinen von sich selber enttaeuschten Juengern: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.“ (Markus 9, 29) Intuitiv setzt der Vater die sprichwo rtliche Einsicht: „Not lehrt beten“ um und ruft:
Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Dieses Bekenntnis ist zugleich ein Hilfeschrei, in dem er nicht nur seinen Sohn, sondern sein ganzes Leben Jesus anvertraut. Es ist ein Gebet der Hingabe an Jesus, dem nichts unmo glich ist. Er kann diesen Sprung des Glaubens wagen im Vertrauen darauf, dass Jesus ihn auffaengt. Wenn das kein Glaube ist! Ein Glaube, der seine Kraft aber nie aus sich selber bezieht. Der nur lebendig bleiben und wachsen kann, wenn er in Jesus verwurzelt ist.
Und doch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich Jesu Na he, seine Kraft, sein konkretes Eingreifen vermisse. Zeiten, in denen mein Glaube wankt. Was hindert mich dann zu rufen: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Renate Karnstein